Neu beflügelt
Ein Konzertbericht von Martin Reinschmidt.
Da stand er und sagte kein Wort, obwohl alles extra für ihn hergerichtet war. Die Gäste wegen ihm gekommen waren, die tagelangen Vorbereitungen sich rund um seinen eleganten Körper abgespielt hatten, immense Summen für seinen Standortwechsel aufgebracht und geflossen waren, das Rampenlicht wie Lanzen von seinen schwarzen Kurven zurück in den Saal geworfen wurde. Pure Präsenz, die keiner Worte bedarf, umso weniger, als das derer zahlreiche über ihn verloren worden waren. Er ist bekanntlich da. Seit dem Frühjahr. Sprechen muss er nicht. Er ist eben ein Objekt, ein Werkzeug, ein Instrument, das unter den Händen der Geübten die wahre lingua franca in den Raum zeichnet – Musik. Er lässt reden. Und die Töne für sich sprechen. Unser neuer Flügel. Ein Seiler. Ein Stück Instrumentenbaukunst, das seinen Weg in unsere bescheidenen Hallen gefunden und trotz seines distinguierten Daseins schon zahlreiche Anhänger gefunden hat. (Eingeweihte ließen verlauten, er spiele sich nahezu selber. Worte der Meister, denen die Tasten in die Finger schweben.) Ein Klang, der im Kreise der Siegtaler Tasteninstrumente wohl seinesgleichen sucht, bereichert nun Musikunterricht und Konzerte. Nun war der Tag der offiziellen Einweihung gekommen, an dem fast keine und keiner, die oder der rund um das PPR involviert, interessiert und engagiert ist, fehlen wollte. Das PZ war bis zum letzten Platz gefüllt, um dem Instrument seine Aufwartung zu machen und zu hören und zu sehen, wie es die Schüler animiert und bildet.
Mehr noch als andere Musikinstrumente umgibt einen Konzertflügel dieser Kategorie eine Aura unerzählter Geschichten, unerhörter Möglichkeiten und unerbittlicher Unaufdringlichkeit, die Interessierte aller Generationen und Regionen an und in das Reich der Musik leitet. Und natürlich brach er sein vornehmes Schweigen, ließ Lehrer und Schüler einige der Abermillionen Werke und Weisen, die in ihm schlummern, zum Leben erwecken. Dem klassischen Schwerpunkt des Konzerts angemessen, gebar der Abend ein breites Repertoire an Klavierstücken aus den Federn der Komponisten Grieg, Beethoven, Tschaykowski, Massenet und Debussy. Musiklehrer Marc Heilmann machte den Anfang der Solisten mit dem Präludium aus der Holberg Suite, gefolgt von Sai Surendran, die „Für Elise“ darbot. Es folgte „Schwanensee“, gespielt von Sabina Guliyev. Umwoben von Till Staschkos eindrücklichem Violinspiel erklang die Meditation aus Massenets Oper „Thais“ mit Lan-Anh Boese am Flügel. Den Abschluss der klassischen Vorträge bildete Debussys „Arabesque No 1“, die von Lehramtspraktikantin Laura Lange interpretiert wurde. Auch Werke aktueller, noch wenig bekannter Komponisten hatten ihren Weg in das Abendprogramm gefunden – Vanessa Sening spielte ein sehr eingängiges Stück namens „The actress“ von Yuri Vesnyak .
Dass ein Flügel nicht immer im Mittelpunkt des musikalischen Geschehens stehen muss, sondern auch als Begleitung in den Hintergrund rücken kann, zeigte sich im Eröffnungsstück des Schulorchesters, dem „Modern String Ensemble“, das mit John Miles‘ „Music“ das Stichwort des Abends intonierte, in den Beiträgen der Band AG sowie den Kurs- bzw. Klassenauftritten der Einführungsphase und der neunten Klassen. Angeführt von Malina Voosen-Müller und Julian Löwenberg brachte die breit aufgestellte und mit zahlreichen talentierten Musikerinnen und Musikern aller Altersstufen besetzte Band AG „Mein Herz bleibt hier“ von Madsen sowie „History“ von Story Untold mitreißend hervor, aus den Kehlen und Instrumenten der EF erklang „Viva la vida“ von Coldplay, die Neuner boten als vorletzten Akt „Friends“ von Aura Dione, bevor ein Trio bestehend aus den beiden „Bandleaders“ und Jannik Fechten mit „Attention“ den Schlusspunkt setzte. Zuvor hatte Anima Kanzi zur Begleitung von Marc Heilmann Ariane Grandes „One last time“ intoniert, ein weiteres Dokument ihrer herausragenden Gesangsqualität. Auch Asmaa Hamdaoui war im ersten Teil des Konzerts ein großartiger Beitrag mit „Impossible“ (Shontelle) gelungen.
Die jüngere und ältere Geschichte unseres Flügels und des Flügels im Allgemeinen prägte den rein verbalen Teil des Abends. Als Sensationsgast war Wolfgang Schwalm zugegen. Herr Schwalm, Gründungsmitglied der „Wildecker Herzbuben“, die seit Jahrzehnten eine feste Größe im deutschsprachigen Musikmarkt bilden und die mit „Herzilein“ Anfang der Neunziger Jahre der Volksmusik und ihren Konten neues Leben einhauchten, hatte es sich nicht nehmen lassen, sich an die Fersen seines ehemaligen Flügels zu heften. Ja, seines Flügels. Seit 1997 hatte das Instrument die Arbeit des Musikers – der seine überragende Kunstfertigkeit im Spiel der Trompete, von unseren Musiklehrern begleitet, in den Stücken „What a wonderful world“ von Louis Armstrong und „Happy“ von Pharell Williams bewies – begleitet und sein Wohnzimmer geziert. Dass es nach fast zwanzig Jahren den Besitzer gewechselt hat, erfülle besonders seine Frau mit Traurigkeit, so der Künstler mit einem Augenzwinkern.
Der glückliche Umstand, dass das edle Instrument aus Profimusikerhause den Weg ins Siegerländer Gymnasialwesen gefunden hat, verdankt sich einer Kette glücklicher Umstände, findiger Musiklehrer, „Deichsler“, Spender und Gönner. In Kooperation mit dem Förderverein und der Volksbank Siegen und getragen von prominenter Patenschaft hatte sich das Spendenprojekt „PPR wachsen Flügel“ als voller Erfolg erwiesen, die nicht unbeträchtliche Summe für den Erwerb des Instruments war zustande gekommen, das Instrument gefunden und geliefert worden. Alle Personen, die an der Organisation und Durchführung dieses Unterfangens unmittelbaren Anteil gehabt hatten, wurden auf die Bühne gebeten. Oliver Thiele als Vertreter der Volksbank Siegen, Wolfram Schürger, als Klavierbaumeister im Dienste des Pianohaus KDH in Wetzlar verantwortlich für die Wartung und das Stimmen des Flügels, Jost-Rainer Georg als Vorsitzender des Fördervereins, Direktor Dieter Fischbach, der das von seinem Vorgänger Paul Behrensmeyer mitinitiierte und getragene Projekt dankbar abgeschlossen sah, die Musiklehrer Marc Heilmann und Christiane Siebel, die, mit untrüglichem Gehör in weiten Kreisen der Bundesrepublik unterwegs, den entsprechenden Gegenwert für das kleine Vermögen nach Vermittlung durch Herrn Schürger aufgespürt und für gut befunden hatten. Von Hand zu Hand wanderte ein stilisierter Violinschlüssel, der schließlich von Lan Anh Boese und Sabina Guliyev aufgenommen wurde, Repräsentantinnen der Jugend und der Schüler, deren Zukunft das Instrument begleiten und bereichern wird. Fragen aller Art rund um das Thema Klavier und Flügel wurden sodann von einer Delegation Fünftklässler an den Experten Schürger gestellt, der einen interessanten Einblick sowohl in die Geschichte der Instrumentengattung als auch in seine Tätigkeit gewährte.
Als der Flügel und seine Sprache wieder in den Mittelpunkt rückten, wurde dem Publikum eine weitere Facette des Instruments vorgeführt – Geschichte hat das Klavier auch längst in der Filmmusik geschrieben. Ein Fakt, der dem Publikum mittels der einprägsamen Darbietungen der Stücke „River flows in you“ (Twilight, Yiruma) durch Ana Milicevic, dem Hauptmotiv von „Zurück in die Zukunft“ (John Debney), intoniert von Sergej Zuev sowie „Comptine d’un autre ete – l‘ apres midi“ (Fabelhafte Welt der Amelie, Yann Thiersen) durch Anne Germann vor Ohren geführt wurde. Ein besonderes Novum bot sich dem Publikum kurz vor der Pause, als Nelly Hartlieb, Jule Bänfer und Emily Petri „Dolly’s dreaming and awakening“ von Theodor Oesten als Ballet auf die Bühne brachten, eine ausgezeichnete Symbiose von Klang, Bewegung und Grazie, die die Gäste erneut in Begeisterung versetzte. Wie die zahlreichen Melodien und Motive, die dem Flügel an diesem Abend entstiegen waren, so entstanden das Erwachen und der Tanz der Puppe aus dem traumbereicherten Schlaf. Klar, dass nach der Pause alle wieder erwartungsfroh in den Saal zurück strömten. Flüchtig und einprägsam wie die Kringel des Novemberregens auf den Schulhofpfützen entsprangen bald wieder Noten dem Kosmos der Phantasie, erklangen und verklangen im Raum, öffneten Ahnungen in die Weite der Musik. Eine unendliche Geschichte, von der uns an diesem Abend ein Teil vorgeführt wurde. Der erst schweigsame Protagonist hatte seiner Aura und seinem Ruf alle Ehre gemacht. Selbst wenn er, wie ein Patient in und aus dem Operationsaal, von den Rändern ins Rampenlicht und zurück geschoben wurde, verlor er nie seine Würde, knüpfte bald darauf wieder am Glasperlenspiel der Klänge. Ein besonderer Dank für die Organisation, Vorbereitung und Durchführung des Konzerts gilt abschließend neben allen beitragenden Musikern unseren Musiklehrern Marc Heilmann und Christiane Siebel. Auch allen, die beim Aufbau Hand angelegt haben und besonders den Verantwortlichen für Licht und Ton sei ein herzliches Dankeschön ausgesprochen.